Ich werde dich „The Ugly Duckling“ nennen – das hässliche Entlein, sagte er zu mir und legte mich zu dem übrigen Geröll in seinen Pferdewagen. Und so lag ich, eine Art Missgeburt, zwischen Stapeln von Gebrauchtwaren, Werkzeug, Krimskrams und alten Socken und wartete auf mein Schicksal.
Ich
war dennoch froh, endlich
einen eigenen Namen zu haben und nannte mich fortan selber „Duckling“,
denn das
Wort „ugly“ ignorierte ich wie Essig.
Die Tage, Wochen,
Monate,
Jahre vergingen wie langsam tropfendes Wasser.
Nur einmal in
meinem Leben war
ich bis zum damaligen Zeitpunkt von anderen Händen berührt worden. Es
war an
dem Tag gewesen, als irgendein deutscher Tourist ein Souvenir brauchte
und mit
seiner Frau zufällig am Pferdewagen des Kesselflickers vorbei kam. Der
Kesselflicker, der tagaus, tagein darauf lauerte, irgend einen Tand und
anderes
nutzloses Zeug an ahnungslose Touristen zu verscherbeln, nahm mich von
der
Auslage, die er um den Pferdewagen herum aufgebaut hatte und reichte
mich dem
Touristen, der einige Male kurz mit seinem Fingerknochen auf mir
herumklopfte,
die Stirn runzelte, die Lippen zusammen presste und mich dem
Kesselflicker
kopfschüttelnd zurück gab.
Ich hatte schon gehofft,
endlich in spielende Hände zu geraten, doch nun sah ich mich enttäuscht
und
begann schon, mich mit meinem weiteren jahrelangen Schicksal des
Wartens
abzufinden. Doch da geschah plötzlich etwas Unvorhersehbares. Die Frau
des
Touristen trat nochmals an den Kesselflicker heran und verwickelte ihn
in ein
kurzes Gespräch. Schließlich willigte dieser in den vereinbarten Handel
ein und
übergab mich der Frau. Diese gab dem Kesselflicker einige Geldscheine,
packte
mich auf den Rücksitz des Leihwagens und brauste mit ihrem Mann in
Richtung
Flughafen.
Man kann sich vorstellen,
dass
der Flug nach Deutschland für mich nicht besonders angenehm war.
Zwischen
Koffern, Rucksäcken und Angelutensilien eingezwängt, musste ich einige
Stunden
in eisiger Kälte ausharren, bevor mich die Frau bei der
Gepäckabfertigung
wieder abholte. Ich fror erbärmlich und mein Fell war schlaff wie ein
alter
Ziegeneuter. Ich war abgrundtief enttäuscht und wäre vermutlich im Müll
gelandet, wenn irgendwer in jenem Moment auf mir herumgetrommelt hätte.
Wiederum
wurde ich auf den
Rücksitz eines Wagens geworfen, und erst nach einigen Stunden Autobahn
öffnete
sich endlich die rückwärtige Tür.
Der
Sohn des Touristenpärchens starrte mich entgeistert an und fragte seine
Mutter,
was das denn sei.
Das ist eine Bodhrán, eine
irische Rahmentrommel, antwortete die Mutter, du wolltest doch was echt
Irisches mitgebracht haben, oder?
Aber doch nicht so ein
hässliches Ding, sagte der Junge, nahm mich, klopfte gelangweilt mit
der Hand
auf mir herum, und, da ihn der Klang offenbar nicht besonders
interessierte,
trug er mich hinauf in sein Zimmer. Dort stellte er mich neben den
Kleiderschrank in eine Nische, wo ich sehr, sehr viele Tage verbringen
musste,
in der ich jede Menge Zeit hatte, über die Dinge des Lebens
nachzudenken.
Jahre vergingen. Ich sah
den
Jungen größer werden, und als er Platz in seinem Zimmer brauchte, warf
er
einige Dinge in einen großen Umzugskarton, darunter auch mich. Der
Karton wurde
zu einem der wöchentlichen Flohmärkte getragen, und die Gegenstände auf
einem
Klapptisch ausgebreitet. Irgendwann kam dann der Bremer Künstler
vorbei, gab
dem Jungen ein paar Münzen und warf mich in seinen hellblauen VW-Bus.
Und
so war ich schließlich in
das Atelier gelangt, wo ich weitere nutzlose Jahre verbringen sollte.
Tag
für Tag beobachtete ich,
wie der Künstler ein Bild nach dem anderen malte. Immer wieder waren es
Motive,
bei denen irgendwas aus einer Wand heraus bricht, Mauern sich öffnen,
lebendige
Figuren aus verhärteten Strukturen heraus kriechen oder Wolken hinter
einem
Loch in der Hauswand zu sehen sind. Diese Bilder verursachten eine
große
Sehnsucht in meiner Seele. Ich sehnte sich danach, endlich einmal
woanders
hinzukommen, andere Räume zu sehen, womöglich sogar von irgendeinem
lieben
Menschen gespielt zu werden. Doch die Jahre vergingen und es geschah –
gar
nichts.
Es war an einem Tag im Mai vor
vielen Jahren, als die abendliche Sonne ihre letzten Strahlen durch das
Fenster
des Ateliers sandte, und dabei ein Lichtschimmer über mein staubiges,
ausgetrocknetes Fell huschte.
Wie durch einen Zauber öffnete
sich fast gleichzeitig die Tür des Ateliers und der Künstler kam mit
einem
jungen Mann herein. Die beiden hatten Musikinstrumente dabei und
begannen nach
kurzer Zeit ein paar Melodien zu spielen. Als sie nach einigen Minuten
eine
Pause machten, erhob sich der neu hinzu gekommene Musiker und begann,
im
Atelier hin und her zu gehen. Dabei kam er auf mich zu und betrachtete
mich.
Ich war wie erstarrt.
Hey, Jimmi, was ist denn das hier? rief er, du hast ja eine echte Bodhrán! Wo hast du die denn abgestaubt?
Jimmi,
der Künstler, der
gerade eine gerissene Banjosaite austauschte, erzählte, dass ich ein
Schnäppchen vom Flohmarkt sei, dass er mich aber gar nicht spielen
würde. Und
außerdem wisse er auch nicht, wie man solch ein Ding überhaupt spielt.
Vielleicht
kannst du es ja
spielen, Willie,
meinte er.
Ah, nun wusste ich auch den
Namen des anderen Musikers. Er war mir vom ersten Moment an sympathisch.
Na
klar doch, ich kann dir
zeigen, wie sie gespielt wird,
sagte Willie, hast du einen Klöppel dafür?
Nee,
aber du kannst ja vielleicht mit der Hand darauf trommeln,
antwortete Jimmi, Ich
sage es dir aber gleich: die klingt nicht besonders gut!
Ich
war tief beleidigt, obwohl
ich wusste, dass er mit dieser Einschätzung wohl recht hatte.
Willie
nahm mich in seine
Hände, rieb den Staub von meinem Fell und klopfte vorsichtig darauf.
Noch
nie gefühlte Schauer
durchfuhren mich, so als würde mich jemand ganz sanft aufwecken.
Das
Ding ist ja völlig
verzogen,
sagte Willie, außerdem
ist das Fell viel zu straff gespannt und komplett ausgetrocknet. Das
kann ja
auch gar nicht gut klingen!
Er
nahm eine Flasche, goss einen Schluck Wasser auf die
Innenseite meines Fells und verrieb die Flüssigkeit gleichmäßig
darüber. Danach
griff er mit der linken Hand unter mein asymmetrisches Holzkreuz,
presste die
Hand gegen die Innenseite meines Fells und stellte mich auf sein Knie.
Dann
begann er mit rhythmischen Schlägen seiner abgeknickten rechten Hand
einen
Sechsachteltakt auf mir zu trommeln.
Das
muss ein Jig sein,
durchfuhr es mich, ein irischer Tanz, der noch nie auf mir
getrommelt worden war.
Ich
wurde von einem heftigen Schütteln erfasst. Mein vom Wasser
aufgeweichtes Fell kribbelte wie verrückt und fühlte sich plötzlich so
angenehm
samtig an. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich einen noch nie
zuvor
erlebten Klang in mir, der seltsam tiefe Melodien aus meinem Innern
hervorzauberte.
Das
muss Glück sein,
frohlockte ich, das muss das Gefühl sein, das auch die
übrigen Bodhráns haben, wenn zum ersten Mal Töne aus ihnen
hervorgebracht
werden!
Willie spielte eine
ganze
Weile auf mir herum und Jimmi, der seine Banjosaite inzwischen
ausgetauscht
hatte, zupfte dazu einige Akkorde.
Das
ist ja ein ziemlich
seltsamer Rhythmus,
bemerkte er.
Das
ist ein Jig, ein irischer
Tanz im Sechsachteltakt,
antwortete Willie, es
gibt meistens irgendeine Melodie dazu, zum Beispiel diesen Song.
Und
dann sang er zum tiefen
Klang der dumpf klingenden Trommel das Lied von „Lannigan’s Ball“, das
ich vor
vielen, vielen Jahren schon einmal aus dem Kassettenrekorder des
irischen
Kesselflickers gehört hatte. Jimmis Five String Banjo lieferte dazu die
passenden drei Akkorde.
Ich war wie berauscht,
bemerkte eher am Rande, dass Jimmi irgendwas zu Willie sagte und sah
mich kurz
darauf unter Willies Arm geklemmt aus der Tür des Ateliers schweben.
Und so
wechselte ich noch am selben Abend meinen Besitzer. Endlich hatte ich
meinen
eigenen Klang entdeckt. Ich war so glücklich wie nie zuvor in meinem
Leben ...
Jahre vergingen. Willie und
ich wurden gute Freunde und erlebten so manche wilde Session. Ich
lernte neue
Leute und andere Instrumente kennen, manche davon klangen so vertraut,
als
kämen sie aus meiner irischen Heimat.
Willie, der außerdem
Geige,
Mandoline und Gitarre spielen konnte, hatte mit farbigen Filzstiften
irgendein
keltisches Ornament auf meine Außenseite gemalt. Damit sie nicht so
unglaublich
hässlich aussieht, wie er seinem Freund Bernd bei einer Session
gegenüber
erwähnt hatte, sie
lässt sich zwar nicht
richtig stimmen, aber mit ein bisschen Flüssigkeit kann man das Fell so
weich
machen, dass es einigermaßen brauchbar klingt.
Er konnte ja
nicht wissen,
dass mich solche Bemerkungen kränkten, aber ich verzieh es ihm, denn
meistens
war er ja sehr lieb zu mir gewesen.
Ich war glücklich und
gleichzeitig sehr stolz und erlebte die besten Jahre meines schon so
langen und
meist unglücklichen Lebens. Besonders angenehm war die Erfahrung, wenn
Willie
statt Wasser schwarzes Bier aus meiner Heimat verwendete, um mein Fell
geschmeidig zu machen. Dann entstand ein so wunderbar beglückendes und
gleichzeitig benebelndes Gefühl in meiner Seele, so dass ich besonders
schöne
Klänge hervor brachte. Dieses Gefühl hielt auch noch eine Weile an,
wenn der
letzte Trommelschlag schon längst verklungen war. Nur die am nächsten
Tag
folgende, schmerzhafte Verspannung auf meinem Fell war nicht so
angenehm. Und so
lernte ich allmählich, dass manche
Genüsse des Daseins auch ihre Schattensaiten haben.
Eines
Tages brachte Willie
eine runde, braune Tasche mit nach Hause, öffnete einen Reißverschluss
und
holte eine andere, offenbar neue Rahmentrommel daraus hervor. Er nahm seinen Klöppel,
spielte einige
Schläge darauf und schmatzte vor Vergnügen. Sie klang wirklich sehr gut!
Ich
fühlte mein eigenes Fell
vibrieren, aber nicht vor Freude, sondern da war etwas Anderes, was
mich
ängstigte. Ich hatte plötzlich das dumpfe Gefühl nun nicht mehr
gebraucht zu
werden.
Und genau so kam es auch: Noch
am gleichen Tag hängte mich Willie an einen rostigen Nagel in seinem
Keller. Ich war
enttäuscht, verzweifelt
und wütend, auf solche Art und Weise ausgemustert zu werden und begann,
meinen
Besitzer immer mehr zu hassen.
Wieder
vergingen einige Jahre.
Die Ornamente auf meiner Trommeloberfläche hatten schon lange ihren
anfänglichen Glanz verloren und das, was zuvor nicht durch den
unnachgiebig
klopfenden Stick abgerieben worden war, verblasste im Laufe der Zeit
zusehends.
Willie spielte nur noch auf „seiner
Neuen“, wie ich meine Konkurrentin nannte, und schien seine alte
Rahmentrommel
allmählich vergessen zu haben.
Ich
hatte mich schon mit dem
Gedanken abgefunden, den Rest meiner Tage in einem dunklen Kellerraum
verbringen zu müssen, da passierte dann doch etwas Überraschendes.
An
irgendeinem Wintertag kam
Willie in den Keller, nahm mich von der Wand und packte mich in eine
Plastiktüte. Ich war von dieser plötzlichen Bewegung dermaßen
überwältigt, dass
ich nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. In einer Art Altersstarre
hatte
ich Monate und Jahre ausgehalten, ohne bewegt zu werden. Und nun wurde
ich beim
Transport auf einem Fahrrad dermaßen durcheinander geschüttelt, dass
mir
richtig schwindlig wurde.
Willie traf
sich mit seinem
Freund Bernd in ihrer musikalischen Stammkneipe, der „Orange“ im Bremer
Stadtteil Findorff. Dort verabredeten sie sich schon seit Jahren zu
Sessions
und Konzerten, und dort hatte auch ich schon so manche heftige Nacht
erlebt.
Unvergessen war jene Nacht, als der schon heftig betrunkene Willie auf
einem
Zimtstreuer Blues geblasen hatte. Der Zimt war dabei in kleinen
hellbraunen
Wölkchen in die von Zigaretten verqualmte Kneipenluft zerstäubt worden
und
einiges davon war auch auf meinem Fell an einem Guinnessflecken hängen
geblieben.
Willie hatte den Flecken nie wieder richtig abgewaschen, was ich ihm –
trotz
aller gemeinsamer Erlebnisse und der tiefen Dankbarkeit, die ich
eigentlich für
ihn empfand - durchaus übel genommen hatte.
In
der „Orange“ saßen Bernd
und Willie in einer Ecke und musizierten. Bei einem Stück spielten sie
dann auf
beiden Bodhráns. Willie nahm mich und Bernd durfte auf Willies „Neuer“
spielen.
Dazu sangen sie das Lied der englischen Bergarbeiter, die mehr Geld von
ihrem
Landlord verlangen, dabei jedoch über den Tisch gezogen werden: „The
Pound-a-week-rise“.
An einem Nebentisch saßen zwei
junge Frauen, welche die beiden Musiker mit interessierten Blicken
beobachteten. Eine davon, eine hübsche Rothaarige, schaute abwechselnd
auf die
beiden Bodhráns und dann immer wieder hin zu Willies Freund Bernd.
Ich
bin übrigens Marie,
sagte die Rothaarige, als sie plötzlich zu Willie und Bernd an
den Tisch heran trat und sich einfach dazu setzte. Es begann ein
Gespräch über
irische Rahmentrommeln, über Rhythmus und Schlagtechniken, über
Klöppel, Sticks
und Fingerknochen. Und als Willie den schon etwas abgegriffenen Witz
zum Besten
gab, dass die besten Bodhráns und Klöppel aus der Haut und dem
Oberschenkelknochen eines Engländers gemacht seien, wusste ich, was die
Stunde
geschlagen hatte. Irgendwann würde Willie wieder einige Schlucke
Guinness auf
mein Fell gießen, die schwarze Flüssigkeit langsam und genussvoll
verreiben,
und mich dann zum großen Sessionfinale aufklingen lassen. Ich war schon
voller
Vorfreude.
Doch dieses Mal war irgendwie
alles anders. Da war eine ungeheure Vibration in der Luft, die ich
sogar auf
meinem Fell spürte. Und diese Vibration hatte sich im Laufe des
Gesprächs
zwischen Marie und Bernd entwickelt, die ihre Augen gar nicht mehr
voneinander
lassen konnten. Bodhráns spüren so etwas sehr viel früher als Menschen,
deren
Wahrnehmung von so vielen anderen Dingen abgelenkt wird.
Willie
gab mich in Maries
Hände und zeigte ihr, wie man mich am besten auf dem Knie positioniert,
so dass
man beide Hände zum Spielen frei hat. Marie versuchte einige Schläge,
um
schnell festzustellen, dass diese Spielart ganz anders war, als sie
vorher
vermutet hatte.
Schließlich
fragte Marie, ob Willie sich
vorstellen könne, ihr das
Bodhrán-Spielen richtig beibringen zu können.
Willie
antwortete lächelnd, dass sein eigener Stil so dermaßen
schräg sei, dass er ihn lieber nicht weiter vermitteln würde. Aber sein
Freund
Bernd habe das Bodhrán-Spielen gerade „von der Pieke auf“ einigermaßen
gelernt,
und er sei daher sicher auch der geeignetere Lehrer. Willie hatte
nämlich
gemerkt, dass Marie einen Blick auf Bernd geworfen hatte, und dieser
auch auf
sie.
Ich
kann dir jedoch meine alte
Bodhrán leihen, so dass du darauf schon mal üben kannst,
sagte Willie, und vielleicht bringt dir Bernd ja den Rest
bei, wenn er Lust dazu hat.
Marie freute sich und
fragte,
wann sie die Bodhrán ausleihen dürfe.
Sofort,
antwortete Willie, du kannst sie sofort mitnehmen. Dann
brauche ich sie nicht mehr zu mir zurück zu transportieren. Ich habe ja
meine
eigene, neue.
Ich war empört: da
nahm sich
dieser untreue Musiker doch tatsächlich die Lockerheit heraus, seine
alte
Bodhrán an eine wildfremde junge Frau zu verleihen! Und was, wenn diese
jetzt
damit durchbrennen würde? Was sollte denn nun mir, dem armen, alten
Duckling
werden?
Marie verstaute mich in der
Plastiktüte, die Willie mitgebracht hatte und nahm mich mit zu sich
nach Hause.
Dort blieb ich ein paar Tage auf einem alten Sofa liegen.
Kurz
darauf nahm mich Marie
aus der Plastiktüte, zwängte mich in eine Leinentasche und klingelte
wenige
Minuten später an Bernds Haustür. Bernd öffnete, freute sich sehr,
Marie zu
wiederzusehen und führte sie in sein Zimmer.
Die beiden
trommelten eine
Weile abwechselnd und offenbar ziemlich abgelenkt auf mir herum,
sprachen über
Gott und die Welt und so vieles, was ich nicht wirklich verstehen
konnte.
Schließlich legte mich Bernd
vorsichtig auf den Fußboden und wandte sich Marie zu, weil er offenbar
etwas
Wichtigeres als mich in seinem Leben gefunden hatte.
Ich nahm
gerade noch wahr, wie
Marie und Bernd sich irgendwie miteinander vergnügten und seltsam
unrhythmische
gutturale Laute von sich gaben, die erst nach einigen Minuten in den
groovigen
Viervierteltakt eines irischen Reels übergingen, bevor der
heraufziehende
Herbstabend das Zimmer in ein undeutliches Zwielicht hüllte ...
Neun
Monate später erblickte
Robin Leonhard Vogelei das Licht der Welt, ein Kind, das im wahrsten
Sinne des
Wortes herbeigetrommelt worden ist. Und ich, die unscheinbare und
vollkommen
verzogene Bodhrán hatte einen nicht unwesentlichen Teil dazu
beigetragen.
Und dass Willie, mein
ehemaliger Besitzer, der von Zeit zu Zeit als Robins Patenonkel zu
Besuch kam,
nur noch mit seiner „Neuen“ herum machte, störte mich dann irgendwann
auch
nicht mehr allzu sehr. Ich selber war ja inzwischen viel zu alt, um
weiterhin
getrommelt zu werden.
Und so habe ich
endlich meine
Bestimmung gefunden, und ich bin unglaublich stolz darauf, etwas so
Entscheidendes herbeigeführt zu haben. Denn ohne meine Existenz wäre es
vermutlich weder etwas mit Bernd und Marie, noch mit Robin geworden.
Davon
jedenfalls bin ich ziegenfellfest überzeugt.
Robin spielt
übrigens seit
einigen Jahren Euphonium, das manchmal wie eine schön gestimmte
Ziegenfelltrommel klingt. Außerdem hat er vor kurzem begonnen, auf einer anderen Bodhrán,
die sich seine
Mutter irgendwann mal gekauft hatte, das Trommeln zu lernen.
Vor einigen Wochen
kam er dann
mit Willies „Neuer“ nach Hause. Willie hat sich inzwischen eine so
genannte
GPS-Bodhrán - eine Guido Plüschke Special - zugelegt und seine
„Neue“ an Robin
verschenkt. Nun
spielt Robin auf der
„alten Neuen“ und ich habe deutlich gehört, dass er sich vor kurzem zu
Weihnachten auch eine GPS gewünscht hat. Man möge mir verzeihen, wenn
ich
darüber schmunzle, dass die „alte Neue“ demnächst vermutlich neben mir
in der
Wohnung hängen und sich entsetzlich langweilen wird. Warum sollte es
ihr auch
besser ergehen wie mir?
Robin wird sich dann nur noch
mit seiner GPS vergnügen, deren Fell übrigens aus einer ziemlich alten
Ziege
gefertigt sein soll, wie ich erfahren habe.
Und so werden die
Jahre
vergehen, in der mein Fell immer mehr austrocknen und mein Rahmen immer
brüchiger wird. Und doch bin ich mit meinem derzeitigen Dasein, das
eher von
Ruhe und Müßiggang gekennzeichnet ist, durchaus einverstanden. Ich
erinnere
mich gerne an die wilden Abende mit den Musiksessions, an die
Begegnungen mit
den anderen Instrumenten und die Erlebnisse, an denen ich teilhaben
durfte. Und
ich hoffe, dass man sich an mich erinnert.
Und selbst, wenn ich irgendwann im Sperrmüll landen sollte, so hoffe ich, dass mich irgendein Sammler findet und mich davor bewahrt, von den alles zermalmenden Reisszähnen der Schreddermaschine in kleine Teile zerlegt zu werden.
Aber wer weiß schon, was im Leben einer alt gewordenen Bodhrán noch so alles passieren kann?
Story als PDFW. Burger